Kontemplation bezeichnet eine vertiefte Form der Betrachtung, die auf innerer Sammlung, Achtsamkeit und geistiger Reflexion beruht. In der religiösen und spirituellen Tradition versteht man darunter oft eine stille, meditative Versenkung, die nicht auf intellektuelle Erkenntnis abzielt, sondern auf eine unmittelbare Erfahrung des Göttlichen oder der Wahrheit.
Die Kontemplation hat eine lange Entwicklungsgeschichte und findet sich in verschiedenen Kulturen, Religionen und philosophischen Traditionen. Sie reicht von der Antike über das Mittelalter bis in die moderne Spiritualität und säkulare Achtsamkeitspraxis.
1.
Betrachtete theoria (Anschauung) als höchsten Erkenntnisweg zur Welt der Ideen.
Wahres Wissen könne nicht durch Sinneserfahrungen, sondern nur durch kontemplative Schau erreicht werden.
Das Höhlengleichnis zeigt diesen Weg: Der Mensch muss sich aus der Sinneswelt lösen und zur reinen geistigen Schau aufsteigen.
Sah die Kontemplation (theoria) als die höchste Form des Glücks (eudaimonia).
Die vita contemplativa (beschauliches Leben) galt ihm als erstrebenswert, weil sie dem Göttlichen am nächsten komme.
Plotin (204–270 n. Chr.) entwickelte eine mystische Sicht der Kontemplation.
Ziel: Rückkehr zur höchsten Einheit (dem Einen) durch innere Versenkung.
2.
Übernahm und transformierte das antike Kontemplationsverständnis.
Kirchenväter wie Augustinus (354–430 n. Chr.) sahen die Kontemplation als einen Weg zur Gotteserfahrung.
Origenes (185–254 n. Chr.) betonte die Unterscheidung zwischen aktivem Leben (vita activa) und kontemplativem Leben (vita contemplativa).
Die Wüstenväter (Eremiten in Ägypten) praktizierten Kontemplation in Form des inneren Gebets und der Schweigemeditation.
Bernhard von Clairvaux (1090–1153): Kontemplation als liebende Vereinigung mit Gott.
Meister Eckhart (1260–1328): Predigte eine formlose, direkte Gotteserfahrung durch innere Stille.
Johannes vom Kreuz (1542–1591): Entwickelte die dunkle Nacht der Seele als Phase der Reinigung auf dem Weg zur höchsten Kontemplation.
Teresa von Ávila (1515–1582): Beschrieb in der Inneren Burg sieben Stufen der kontemplativen Vereinigung mit Gott.
3.
Die Bedeutung der Kontemplation nahm ab, da sich Philosophie und Theologie zunehmend auf Rationalität und Wissenschaft stützten.
Blaise Pascal (1623–1662) sah Kontemplation dennoch als eine Form der Gotteserfahrung.
Immanuel Kant (1724–1804) unterschied zwischen spekulativer Vernunft und ästhetischer Kontemplation.
4.
Edmund Husserl (1859–1938): Phänomenologie als eine Art methodischer Kontemplation.
Martin Heidegger (1889–1976): Betrachtete kontemplative Gelassenheit als eine Haltung gegenüber dem Sein.
Achtsamkeit und Zen-Buddhismus beeinflussten die westliche Psychologie (Jon Kabat-Zinns Mindfulness-Based Stress Reduction).
Neuere christliche Strömungen wie das Jesusgebet oder das zentrierende Gebet versuchen, die kontemplative Tradition wiederzubeleben.
Die Geschichte der Kontemplation zeigt, dass sie von der antiken Philosophie über die christliche Mystik bis hin zur modernen Achtsamkeitsbewegung viele Wandlungen durchlaufen hat. Heute ist sie nicht nur ein spiritueller, sondern auch ein psychologischer und philosophischer Weg zu tieferer Erkenntnis und innerer Ruhe.